Mein Schreibtisch

Chaos vor der Ordnung

Ein kleiner detailreicher und schonungsloser Blick auf meinen Schreibtisch am 26. Februar 2023.

Keine Ahnung, was mich umtreibt diesen kleinen Artikel zu schreiben, da ich weder berühmt bin, noch sein werde, hat er auch keine Bedeutung für die Nachwelt. Andererseits suche ich gerne die Bedeutung im Alltäglichen oder untersuche zumindest das Alltägliche auf seine Wirkung oder seinen Gehalt. Vielleicht lässt sich ja etwas herausfinden.

So dachte ich, ich könnte am Sonntag, den 26. Februar 2023 etwas über meinen Schreibtisch schreiben, an dem ich gerade sitze und arbeite. Und so etwas dokumentieren, was eigentlich zu selten dokumentiert wird: Wie der alltägliche Mensch lebt und arbeitet.

Chaos

Mein Schreibtisch

Mein Schreibtisch ist groß. Auch wenn er auf dem Foto nicht so aussieht. Er misst 90 cm Tiefe und 180 cm Breite. Er ist 72 cm hoch, die Schreibtischplatte besteht aus 38 mm starkem, schichtverleimten Holz, das man Multiplex nennt. Er ist beidseitig mit glattem weißen Resopal beschichtet, dass sich gut reinigen lässt. Ich habe die Platte um das Jahr 2000 herum bei Werner Kuhr in Wuppertal-Sonnborn anfertigen lassen. Seine Ecken sind abgerundet, der Radius beträgt 9 cm. Seine Kanten sind zunächst nach unten 1,5 cm lang gerade, dann sind sie in einem Winkel von 30° angefast, was der dicken Platte eine schlanke Natur verleiht. Sie sieht so leicht aus, lässt sich aber nur schwer von zwei Personen tragen. 

Die Platte liegt auf 4 Füßen aus gegossenem Aluminium, die noch aus der guten Ikea-Zeit stammen, als Füße nicht mit einer zentralen Schraube, sondern mit mehreren verteilten Schrauben befestigt wurden. Da die Platte so dick ist, wurden die Füße um 3 cm gekürzt. Die Füße haben die Form einer gespreizten Stimmgabel und bestehen aus 2 Streben, die nach oben langsam breiter werden. Trotz einer minutenlangen Suche konnte ich die Artikelbezeichnung leider nicht mehr finden.

Technik

Der Schreibtisch wird dominiert von zwei schwarzen Samsung 24-Zoll-Bildschirmen, die 50 cm über die Tischplatte aufragen. In der Mitte der Tischplatte ist ein längliches 7 cm langes und 3,5 cm breites Loch gefräst, durch das 11 Kabel unter den Tisch führen. Jetzt wo ich sie zähle, kann ich es fast nicht glauben. Es sind wirklich 11. Die Monitore haben wuchtige Fußplatten, die mir auf dem Schreibtisch viel Platz wegnehmen. Vielleicht findet sich dafür mal eine bessere Lösung.

Drei Kabel gehören zu den 2 Logitech-Boxen, die links und rechts leicht versetzt hinter den Monitoren stehen. 

Links auf meinem Schreibtisch steht mein Telefon, es hat noch einen Festnetzanschluss, der ja eigentlich jetzt auch digital ist. Es ist ein ca. 16 x 26 cm großes und ca. 11 cm hohes Gigaset DL500 A. Es ist schon älter, ich würde auf 2014 oder älter tippen, kann es aber nicht mehr genau sagen. Um die Liste der technischen Geräte zu vervollständigen: Ich schreibe auf einem Cherry Stream Keyboard JK-85, es ist jetzt das dritte der gleichen Baureihe. Ich denke, dass ich alle 5 Jahre eine Tastatur verschleiße. Meine Tastatur ist eine Logitech MX Master 2S, meine erste kabellose Maus, sie ist hier erst seit 2022 zu Gast. Ergänzt wird das Equipment von einem drahtlosen Fastcharge Element von Samsung, es ist das Modell Ep-1100. 

Ganz rechts steht mein Drucker. Es ist ein Canon IP 3600. Er leidet unter dem Problem, unter dem die meisten Drucker leiden: zu hoher Tintenverbrauch beim Start, geplante Obsoleszenz bei der Technik. Er quietscht fürchterlich beim Einschalten, bekam von mir jahrelang Originaltinte, seit 2022 nicht mehr. Es ist das zweite Modell gleichen Typs, diesen hier habe ich gebraucht auf einer Webplattform erworben. Auch neben dem Drucker ist ein kleines Loch in der Schreibtischplatte, durch dieses führen das USB-Kabel zum Computer und ein Stromkabel zu der Steckerleiste mit 12 möglichen Steckplätzen, die ich unter die Schreibtischplatte geschraubt habe. In ihr enden alle Stromkabel, alle Kabel sind mit Kabelbindern ordentlich zusammengebunden, so dass man stehend nichts von ihnen sieht. Auch das Kabelchaos auf dem Schreibtisch hält sich in Grenzen. Viel Raum nimmt mein Mousepad ein, ich frage mich gerade aber, warum ich noch eins habe, denn im Büro habe ich die gleiche Maus, aber benutze kein Mauspad mehr.

Links unter dem Schreibtisch, zwischen den beiden linken Füßen des Schreibtischs, ist mein PC am Schreibtisch in einer selbstgebauten Halterung so aufgehangen, dass ein Staubsauger noch unter ihm durchpasst. Darauf legte ich Wert.

Anhand von Tastatur und Drucker lässt sich schon ein kleines Muster erkennen, ich ändere nicht gerne etwas.

Mein Schreibtisch - Mein Schreibtisch am 27. Februar 2023. Das Bild leidet etwas unter der starken Verzerrung der Weitwinkelaufnahme
Mein Schreibtisch am 27. Februar 2023. Das Bild leidet etwas unter der starken Verzerrung der Weitwinkelaufnahme
Zu viele

Gegenstände

Was steht und liegt heute noch so herum? Von links nach rechts. 

  • eine glänzend schwarze Kaffeekanne von Alfi, das Design stammt aus dem Jahr 1985 und ist von Ole Palsby (1935 - 2010)
  • eine weisse Kaffeetasse von Habitat
  • ein selbst 3D-gedruckter, zweifarbiger Blumentopf mit einer Kletterpflanze, diese ist ein Geschenk einer geschätzten neuen Kollegin
  • ein großer, grauer und eingedrückter Granitstein, er ist ein Fundstück aus einer Steingrube
  • ein Block Postit-Zettel, 7,5 cm im Quadrat, leuchtendgelb
  • drei Stifte, ein TK-Stift mit Mine 2B, ein Rollerpen, Uniball eye fine schwarz, ein Füllfederhalter mit einer 0,8 mm breiten Feder, schwarz mit schwarzer Tinte
  • ein Teddybär in einer Streichholzschachtel, gestrickt von meiner Frau, er soll mir Glück bringen und erinnert mich jeden Tag an sie
  • zwei Tan-Geräte, weil ich immer noch gerne mit TAN-Generator bezahle, bei dem schwarzen ist die Batterie alle, beim roten fast
  • eine ungültige EC-Karte
  • ein ungeöffneter Werbebrief der SKULIMA Wissenschaftlichen Versandbuchhandlung aus Westhofen, Postleitzahl 67593, es ist der Bücherbrief 162
  • eine Vodafone Visitenkarte, den Namen habe ich vergessen
  • ein Walbusch-Jacket-Preisschild
  • ein Zollstock aus Birke, ohne Werbeaufdruck
  • eine Flasche UHU Alleskleber, 90 ml, die gute alte stinkende Sorte
  • eine Flasche Nasenspray PUR-Ratiopharm 20 ml
  • ein Schlüsselbund mit allen Schlüsseln, die ich täglich brauche, unter anderem ein elektronischer Büroschlüssel für mein Büro in der Uni und einem Schlüsselanhänger, den ich mal in einem Korb bei meiner Schwiegermutter fand, es sind die Initialien S&G. Und an ihm hängt auch mein Autoschlüssel, der ist leider sehr klobig. In der Regel transportiere ich meinen Autoschlüssel aber nicht in der Hosentasche, so dass dies kein Problem darstellt
  • ein zerrissener Brief, ich war zu faul ihn zum Papierkorb einen Raum weiter zu bringen (bis jetzt)
  • ein bezahltes Knöllchen, wegen zu schnellen Fahrens zwischen Heumar und Königsforst, bei 60 km/h in einer Baustelle fuhr ich nach Toleranzabzug 66 km/h. Der Bescheid war über 20 Euro. Glück gehabt.
  • 2 Ausdrucke von Booking.com-Buchungen, ja, ich glaube noch an die Kraft des Papieres, nennt es altmodisch, ich finde es sicher. Wer weiß, wo ich am Tag meiner Ankunft meinen Kopf, mein Handy oder überhaupt Strom habe
  • ein Blatt mit neuen Adress-Etiketten für die Briefe an meinen Sohn. Da ich bunte Umschläge benutze, klebe ich als freundlicher Mensch für die Post besser maschinenlesbare Aufkleber auf die Umschläge
  • eine Rechnung und ihr Duplikat, die ich noch für mich und die Steuer abheften muss
  • der Karton meines Samsung Galaxy S7, den brauchte ich gestern, weil ich die SIM-Karte meines alten in mein neues Handy umstecken musste, ihr wisst, was ich meine, dieser kleine PIN, man kann aber auch eine Büroklammer nehmen
  • eine nicht abgeheftete Rechnung des Zeller Versandantiquariates über den Kauf von Emersons Tagebüchern über 62,90 Euro
  • ein leerer DIN-lang Umschlag ohne Fenster
  • ein leeres Brillenetui
  • ein zitronengelbes Notizbuch von Leuchtturm aus der Bauhausserie, es trägt den Aufdruck Everything starts from a dot
  • ein Locher von Novus
  • 2 Packungen Gummibärchen von einem Karnevalsumzug, die mir ein Kollege geschenkt hat
  • ein weißer Baumwolllappen aus einem alten weißen T-Shirt
  • eine Lesebrille
  • noch einmal eine Flasche UHU, siehe oben
  • ein oranger Buff
  • eine kleine Briefwaage von Staples
  • eine Maske
  • eine Rolle Tesafilm
  • ein weiterer Stift, noch mal der Rollerpen, Uniball eye fine schwarz
  • ein brauner B5 Umschlag
  • zwei Handwärmer, die mir meine Frau gestrickt hat

Sechs Bücher

Auf dem Schreibtisch liegen 6 Bücher

  • Emerson, Ralph Waldo, und Brôcan, Jürgen (Übersetzer) : Tagebücher: 1819 - 1877. Erste Auflage. Berlin: MSB Matthes & Seitz Berlin, 2022.
  • Emerson, Ralph Waldo : Natur. Herausgegeben von Harald Kiczka. Schaffhausen: Novalis-Verlag, 1981.
  • Das Kommunikationsbuch von Mikael Krogerius und Roman Tschäppler mit Illustrationen von Sven Weber
  • Sennett, Richard: Der flexible Mensch - Die Kultur des neuen Kapitalismus. Deutsch von Martin Richter, 9. Aufl. Berlin: Berlin-Verl, 1999.
  • Koepf, Hans. Struktur und Form : e. architekton. Formenlehre. Stuttgart; Berlin; Köln; Mainz: Kohlhammer, 1979.
  • Koltermann (Hrsg.), Udo und Tange, Kenzo : Kenzo Tange. Zürich: Artmis, 1970.
  • Joray, Marcel : Beton in der zeitgenössischen Kunst. Neuchâtel: Editions du Griffon, 1977.

Ordnung

Mein Schreibtisch erzählt eine Geschichte über mich. Sie ist nicht lang. Ich liebe Kontinuität. Ich hasse Veränderungen. Ich habe augenscheinlich keinen Platz mehr in meinen Regalen. Ich brauche eine bessere Papierablage. Ich brauche womöglich mehr Zeit für meine Papierablage?

Mein Schreibtisch erzählt eine Geschichte über mich und über meine Ordnung im Kopf und meine Kraft in meinem Herzen. Ich habe zur Zeit einen starken mentalen Focus, das zeigt sich am Zustand der Schreibtischordnung. Es fällt mir leicht der Unordnung mental auszuweichen. Ich richte meinen Blick ins Buch, in diesen Bildschirm, auf dem ich gerade schreibe. Neben mir könnte die Welt untergehen, mich würde es nicht stören.

Was schrieb schon Cicero in De officiis?

Schon deshalb empfindet kein anderes Lebewesen bei allem, was mit dem Gesichtssinn wahrgenommen wird, Schönheit, Anmut und Harmonie der Teile; die Vernunftnatur des Menschen leitet diese sinnliche Wahrnehmung von den Augen an die Seele und nimmt an, man müsse in viel höherem Maße Schönheit, Verlässlichkeit und Ordnung auch in Gedanken und Taten bewahren, und hütet sich davor, etwas nicht anständig oder ohne Energie auszuführen und dann auch noch bei allen Uberzeugungen und Handlungen etwas unkontrolliert zu tun oder zu denken.

Quelle: Marcus Tullius Cicero, Vom pflichtgemäßen Handeln / De officiis, 44 v. u. Z.

(...) man müsse in viel höherem Maße Schönheit, Verlässlichkeit und Ordnung auch in Gedanken und Taten bewahren. Verlässlichkeit = die genaue Ablage. Die auffindbaren Dinge. Die Ordnung im Kleinen. In Gedanken und Taten. Ein leerer Schreibtisch. Eine ausgetrunkene Tasse. Platz für Neues, nein, Platz für Besseres.

Und Ralph Waldo Emerson schrieb am 14. März 1826 in sein Tagebuch: 

Genauigkeit ist essentiell für Schönheit.

Quelle: Oktober 1842; Emerson, Ralph Waldo: Tagebücher. 2022. S. 74

Chaos ist nicht sehr genau. Oder sagen wir lieber, wir wissen noch nicht ganz genau, welche Ordnung das Chaos beherrscht. Es ist auch kein Chaos. Es ist Unordnung. Ordnung hingegen ist genau. Ist Ordnung deshalb Schönheit? Noch eine Frage. Es gibt Ordnung, die definitiv nicht schön ist. Aber das sagt Emerson ja auch nicht. Er sagt: Genauigkeit ist essentiell für Schönheit. er bezieht sich auf Plutarchs »Genauigkeit des Schönen« in Leben des Perikles. Und was steht dort?

Und doch heißt es, dass einmal, als der Maler Agatharchus lautstark mit der Schnelligkeit und Leichtigkeit prahlte, mit der er seine Figuren anfertigte, Zeuxis ihn hörte und sagte: "Meine brauchen lange und dauern lange." Und es ist wahr, dass Geschicklichkeit und Schnelligkeit in der Arbeit dem Werk weder ein bleibendes Gewicht des Einflusses noch eine Exaktheit der Schönheit verleihen; wohingegen die Zeit, die für das mühsame Schaffen aufgewendet wird, einen großen und großzügigen Anteil an der Erhaltung der Schöpfung hat.

Quelle: Plutarch, Leben des Perikles, XIII,2 Genauigkeit des Schönen, Schnelle Übersetzung durch d. Verf.

Geschicklichkeit und Schnelligkeit schaffen keine Exaktheit der Schönheit. Da kommt es her. Der Unterschied zwischen einem Früh- und einem Spätwerk Picassos. Da liegt er. Im weiteren Text heißt es, dass aber die Werke des Perikles um so wertvoller und rühmenswerter waren, weil sie in so kurzer Zeit geschaffen wurden. Die Kunstwerke ihre Zeit für immer überdauerten. Auch dieser Blogbeitrag hat mich nicht viel Zeit gekostet. Er ist flüchtig, ob er deswegen aber schön ist? Noch eine Frage.

Ich räume jetzt wenig auf. Denn dabei kann sich das am Vormittag erlernte in meinem Kopf ausbreiten und verteilen, während ich in das äußere Chaos die innere Ruhe meines Geistes bringe.

Nachtrag um 13:37 Uhr. Das Aufräumen und Reinigen dauerte 7 Minuten.

Ergänzung:

Susanne @Pyrolim hat es mir nachgemacht und auch einen langen Beitrag über ihren Schreibtisch geschrieben: Mein Schreibtisch: Zigarettendosen und Eisbär. Sehr lesenswert und sehr persönlich. Vielleicht lässt sich ja noch jemand inspirieren? Schreibt mir den Link in den Kommentaren!

tl, dr;

In diesem kleinen Essay zwischendurch sinne ich über meinen unordentlichen Schreibtisch nach und finde etwas über die Exaktheit der Schönheit und die Ordnung in den Dingen heraus.

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