Eine Reise von Brüssel durch die Wallonie, die nördlichen Ardennenausläufer bis nach Reims. Unsere Route führte uns über Waterloo nach Charleroi, nach Thuin und über die Ardennen bis ins französische Reims, wo unsere Tour endete.
Belgien - ein Klischee
Land der Comics, Fritten, Waffeln und Pralinen?
Belgien - viele Menschen kennen es nur als Land der Comics, Fritten, Waffeln, Pralinen und von grausigen Geschichten aus den 90ern, die glücklicherweise schon eine lange Weile her sind.
Wer Belgien besucht, der besucht das berühmte Brügge, Gent am Zusammenfluss von Schelde und Leie oder die multikulturelle Metropole Antwerpen, aber wenige Reisende verirren sich in die spröde, aber schöne Wallonie. Charleroi, Namur, Mons - viele lesen die Namen auf der Fahrt nach Paris auf den Schildern der belgischen Autobahnen, aber wer fährt schon einmal hin?
Da lag es nahe, eine dritte Reise in die Wallonie zu machen, nach dem ich schon zweimal Namur und Dinant besucht hatte, und einmal wunderschön rund um das Schloß von Walzin gewandert bin. Das Schloß liegt am schönen Flüsschen Lesse, die zwischen Anseremme und Dinant in die Maas mündet. Eine lohnenswerte, abwechslungsreiche Strecke. Brüssel habe ich schon mehrmals besucht, noch zu Studienzeiten als Architektur-Studienfahrt, dann in den 90ern und einmal habe ich eine Bier- und Jugendstilreise nach Brüssel organisiert, an der 18 Personen teilnahmen.
Brüssel war auch die Endstation der Radtour, die ich 2016 mit meinem jüngsten Sohn unternommen habe. Wir wollten vom niederländischen Den Helder mit den Rädern nach Paris radeln, leider machte uns dann in Grimbergen eine unaufhörliche Reihe von Tiefdruckgebieten einen meteorologischen Strich durch die Rechnung und die Tour endete am Zentralbahnhof von Brüssel.
Diese Tour sollte irgendwie eine Art Ausgleich für das Entgangene sein - denn die Walloniedurchquerung hatten wir ja auf dem Schirm in 2016 - diesmal wollten wir in vier Tagen in Wallonien soweit nach Süden kommen wie möglich, aber eben auch Land und Leute kennenlernen. Allerdings ohne Rad und statt mit Zelt auf dem Campingplatz zu schlafen, war die Idee mit etwas mehr Luxus in netten Hotels zu übernachten. Die haben wir auch gefunden, gut geschlafen und immer ausgezeichnet gefrühstückt.
Die Landesteile in Belgien unterscheiden sich deutlich, was wahrscheinlich an der ungleichen Verteilung des Reichtums liegen dürfte. Zwar war die Bergbauregion um Charleroi im 19. Jahrhundert reich und stark industrialisiert, von diesem Reichtum ist allerdings wenig geblieben. Hohe Einkommen finden sich in Flandern und Brüssel, in Wallonien eigentlich nur im belgischen Speckgürtel um Luxemburg herum. Das sieht man in den Dörfern und Städten deutlich. Während Flandern auf dem Land vielen wahrscheinlich durch die Facebook-Seite Ugly Belgium Houses bekannt sein dürfte - die psychologischen und kulturellen Ursachen dafür dürften ein interessantes Studienthema bilden - ist der Süden Belgiens sichtbar arm und wirkt - bis auf eigentlich immer zu schnell fahrende belgische Autofahrer geradezu wie ausgestorben. Ebenso wie viele deutsche Orte an Durchgangsstraßen auf dem Land zeigen sich auch in Belgien die Symptome eine falschen Entwicklungs- und Verkehrspolitik. Große Supermärkte machten den kleinen Geschäften den Garaus, niedrige Discounterpreise ruinierten Bäckereien und andere Gewerke. Kein Wunder, dass man mit dem Auto glaubt durch ein Niemandsland zu reisen. Schade, denn Abseits der großen Durchgangsstraßen schlummern zahlreiche Kleinode ihr Schattendasein.
Wohnort im Sumpf
Brüssel
Brüssel ist eine von drei Regionen Belgiens und die einzige, die zweisprachig ist. Die Teilung Belgiens in zwei Sprachen ist die Folge jahrhundertelangen Zerrens mächtiger europäischer Königshäuser und von unbändigen Unabhängigkeitsbestrebungen. Mehr als 11 Millionen Einwohner hat Belgien und gerade in Brüssel mit seinen 1,2 Millionen Menschen sieht man deutlich, dass Belgien lange eine Kolonialmacht war, was wahrscheinlich nicht nur den Kongo betrifft - eine grausame, vor allem unter unter Leopold II.
Es liegt aus verschiedenen Gründen viel näher mit dem Zug nach Brüssel zu fahren - von Köln nach Brüssel braucht der Zug 1 h 52 Minuten und die Fahrt einfache Strecke kostet 33 Euro, rechtzeitig gebucht kann man es auch für nur 16 Euro hinbekommen. Wir sind mit dem Auto gefahren, weil unsere weitere Reise mit der Bahn nicht so möglich war, wie wir es wollten. Zur Zeit sollte man sich das aus zwei Gründen allerdings gründlich überlegen. Wegen Baustellen auf den nach Brüssel führenden Autobahnen dauert die Fahrt mit dem Auto aktuell - wenn man um 6 Uhr morgens losfährt - 4 Stunden. Zudem ist Brüssel zentral für ältere Autos mittlerweile komplett gesperrt, das wird mit Kameras kontrolliert und kostet hohe Strafen, da wir kein Risiko eingehen und sowieso uns als erstes das Atomium anschauen wollten, haben wir auf einem Park&Ride Parkplatz in der Nähe des Atomiums geparkt. Es war noch genau ein Platz frei. Tagestickets für Brüssel sind auch ohne Plastikkarte käuflich erhältlich, sie kosten pro Erwachsenen um die 7 Euro, gelten für das gesamte Brüsseler Netz, für Busse, U-Bahnen und Straßenbahnen und lohnen sich. Die Station Heizel an der Linie 6 ist wirklich nur einen Katzensprung vom Atomium entfernt. Mit der Linie 6 lässt sich bequem der Stadtkern von Brüssel umrunden, ideal für beliebige Starts zur Stadterkundung.
Was haben Broxelle, Bruchsal und Bruxelles gemeinsam? Die sprachlichen Wurzeln gehen auf die Wortbildung aus bruk und sel[la] zurück, was so viel wie Wohnort im Sumpf bedeutet. Man kann sich seinen Teil zu Europa denken. Karl von Niederlothringen errichtete um 977 eine Burg auf einer Insel im Flüsschen Senne, mit der Verleihung des Stadtrechts begann der Aufschwung der heutigen Großstadt. Brüssel ist seit 1967 Sitz der NATO, das Europäische Parlament hat seinen Sitz in Brüssel. Die sogenannte Brüsselisierung, die Vernichtung historischer Bausubstanz für moderne Hochhäuser oder Gebäude der europäischen Bürokratie, hat einen eigenen Wikipedia-Eintrag. Die Störungen des Stadtbildes sind überall zu sehen. Trotzdem haben viele Viertel ihren individuellen Charme behalten, was eine Reise hierhin immer lohnenswert macht, auch ohne sich eher langweilige Sehenswürdigkeiten wie ein pinkelndes Kind anzusehen.
Skulptur und Architektur
Das Atomium - 102 m hoch
Kühn - das ist ein Begriff aus dem französischen Wikipedia-Artikel zum Atomium und es bildet das Bauwerk und seinen Kontext meiner Meinung nach perfekt ab. Es ist 1958, nur ein Jahr zuvor hatte der erste deutsche Kernreaktor, das sogenannte Atomei an der TU München seinen Betrieb aufgenommen. In Deutschland boomt trotz der ersten Weltwirtschaftskrise das sogenannte Wirtschaftswunder, die USA stellen mit MISS („Man In Space Soonest") das erste Astronautenauswahlprogramm auf die Beine und in Tokio wird der 332,6 m hohe Tokyo Tower für das Publikum geöffnet. Der zweite Weltkrieg lag bereits 13 Jahre zurück und der Fortschrittsglaube war unerschütterlich. Zur ersten Weltausstellung nach dem Krieg wurde das Atomium 1958 von den Architekten André und Jean Polak nach Entwürfen des belgischen Bauingenieurs André Waterkeyn errichtet. Der ehemalige Hockey-Nationalspieler Belgiens Waterkeyn entwarf das Gebäude als Symbol des Fortschritts und der technischen Kompetenz Belgiens. Formal ist das Gebäude eine Mischung aus Skulptur und Architektur, es zeigt ein auf einer Ecke stehendes Modell der aus neun Atomen bestehenden kubisch raumzentrierten Elementarzelle der Kristalle. Es ist ist eine 165-milliardenfache Vergrößerung der kristallinen Elementarzelle des Eisens. (Quelle: Wikipedia) Technisch wurde Waterkeyn von seinen Schwagern unterstützt. Die Kugeln haben einen Durchmesser von 18 Metern, die Röhren einen Durchmesser von 3 m. In ihnen befanden sich Rolltreppen und in der Mittelröhre ein Aufzug, um den es einen hübschen Skandal gibt. Zur Bauzeit war der von der Schweizer Firma Schlieren installierte Aufzug mit 5 m/s der schnellste Aufzug Europas. Der Maler Roger Hebbelinck (1912 -1987) und der Bildhauer Ernest Salu (1909 -1987) filmten mit Exklusivrechten den Bau des Atomiums. Eine Suche bei Youtube unter dem Begriff Construction de l'Atomium zeigt vielfältige interessante Einblicke in die Konstruktion des Brüsseler Wahrzeichens. Waterkeyn besaß alle Bildrechte am Atomium, die er an die Atomium-Gesellschaft übertrug, die diese bis heute inne hat.
Wenigen bekannt dürfte sein, dass mit der Errichtung des Atomiums unterhalb zur Weltausstellung ein Nuklearreaktor mit der Bezeichnung AGN-211-P errichtet wurde. Diesen verkaufte man nach der Weltausstellung an die Universität Basel, wo er erst 2015 außer Betrieb genommen wurde. 2004 bis 2006 wurde das Atomium restauriert, dabei wurde das - wie ich fand schön matt gealterte - Aluminium durch polierten Edelstahl ersetzt.
Größer als der Petersdom
Palais de Justice de Bruxelles
Größer als der Petersdom in Paris, mit 26.000 m2 Grundfläche (fast 4 Fussballfelder) und einer Höhe von 116 m locker das Atomium überragend, ist der Brüsseler Justizpalast ein gargantuesker gewaltiger Koloss aus Stein, der von fast überall sichtbar die Brüsseler Innenstadt überragt.
Das Justizgebäude befindet sich am größten Brüsseler Platz, dem Platz Poelart, der nach dem Architekten des Palais Joseph Poelart benannt wurde. Das Gebäude wurde im eklektischen Stil errichtet und ist deutlich sichtbar von griechisch-römisch Stilelementen inspiriert.
1866 wurde der Grundstein gelegt, zuvor mussten 75 Häuser der Marolles weichen und die Anwohner in ein eigens errichtetes neues Viertel im Quartier du Chat in Uccle umgesiedelt werden. (Stadtviertel zu zerstören, das hat in Brüssel eine wirklich lange Tradition).
Erst 1833 wurde der Justizpalast unter Leopold II eingeweiht, weder Poelart noch Leopold I. überlebten die Bauzeit. Zu seiner Bauzeit war der Palais de Justice in Brüssel das größte aus Quadersteinen errichtete Gebäude und blieb es bis 1965. Der Ausdruck piranesisch, nach dem italienischen Kupfersteche, Archäologen und Architekten Giovanni Battista Piranesi (Beispielbild) verdeutlicht die innere Abfolge von titanischen Kolonnaden, Pilastern und Gebälk wohl am deutlichsten.
Es geht treppauf und treppab, und das alles ausgehend von einer im Inneren 100 m hohen, kathedralenhaften Wandelhalle, die mich immer wieder nach Luft schnappen lässt. Wie winzig die Menschen dem gegenüber scheinen.
Heute stehen bis zu 70 % des Gebäudes leer. Viele Gerichte haben den Palais de Justice verlassen, eine 1984 begonnene Sanierung dauert bis heute an. Das langesame Fortschleppen der Sanierungsarbeiten machte zwischendurch sogar einen Sanierung der Einrüstungen notwendig.
Bummeln
Vom Palais de Justice zum Grande Place
14 Ziele wollten wir an einem Tag in Brüssel ansteuern, insgesamt sind wir über den ganzen Tag aber nur vom Palais de Justice zum Grande Place gelaufen. Das Viertel unter dem Palais habe ich als vor 20 Jahren noch etwas schäbig in Erinnerung, jetzt befinden sich zwischen der Rue de Mimines und dem Monts des Arts unterhalb der Bibliothèque Royale de Belgique viele schöne inhabergeführte Geschäfte, in denen man kurzweilig bummeln kann.
Das Viertel strahlt etwas aus, dass es nicht in vielen Städten gibt, Stimmung.
Besonders hervorheben möchte ich auch La Boîte à Musique am Coudenberg, unterhalb des Old England Kaufhauses, heute Musée des Instruments de Musique. Hier kann man sehr gut beraten aus einer riesigen Auswahl von Klassikmusik in Form von CDs und LPs auswählen und probehören. Wo geht das noch?
Pausen haben wir viele gemacht und diese gehören für mich auch zum Pflichtprogramm beim Besuch einer Großstadt. Wir saßen an Église Notre-Dame de la Chapelle und aßen Pommes von der Friture de la Chapelle.
Später machten wir im Schatten der Bäume des Jardin du Mont des Arts Rast und tranken Kaffee im Innenhof des Musée Belvue, den ich besonders ausdrücklich als schönen und ruhigen Rastplatz fern des Trubels empfehlen möchte.
Von hier kann man in den königlichen Parc de Bruxelles laufen oder weiter hinunter in die Stadtmitte, wo unsere Runde auf dem Grand Place mit seinen 1698 im prächtigen Barockstil errichteten Zunft- und Gildehäusern endete. Wir sind noch ein wenig durch die Arcaden und Passagen gebummelt und habe uns in einer Konditorei eine köstliche Blaubeerschnitte gegönnt.
Von hier aus ging es zurück zum Hotel. Wir haben uns für das von wenigen Jahren frisch renovierte und aus dem Pantone-Hotel hervorgegangene Scott-Hotel entschieden. Es liegt gut von der Haltestelle Hôtel des Monnaies erreichbar im Viertel Saint Gilles, wo wir bei einer kleinen Pizzeria zu Abend aßen.
Ein schöner Tag ging zu Ende. Selten habe ich einen Stadtbesuch so genossen.Im nächsten Teil geht es über den Löwenhügel, über Charleroi nach Thuin.
Conclusio
Belgien ist mehr als Fritten, Comics und Pralinen. Brüssel ist eine wunderschöne Stadt, in der man vieles entdecken kann. Und sich tatsächlich auch entspannen.
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