Teil II - Alfred Lord Tennysons Zitat in Skyfall

Nichts ist mehr, was es einmal war. James Bond fällt.

Ein Zitat von Tennyson kommentiert im Film Skyfall die Entmachtung der wichtigsten Protagonisten der James-Bond-Filmreihe, die Entmachtung von M und James Bond selbst.

Achtung! Spoiler zu Skyfall.

Der 23. James-Bond-Film aus der Reihe und der dritte Film mit Daniel Craig als Darsteller von James Bond stellt zu Recht M als die mächtige Person hinter Bond mehr in den Focus, das hat auch die Hauptdarstellerin Judy Dench mehr als verdient, die aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr weiter machen wollte. Ihr Entmachtung und der sprichwörtliche Fall des Agenten selbst, zwingen James Bond im Film letztendlich dazu, zu seinen Wurzeln zurückzukehren und mit dem Rücken zur Wand für seine Werte gerade zu stehen.

James Bond

Filme für Literaturkenner

Sind eigentlich die Zuschauer von James-Bond-Filmen in klassischer englischer Literatur zu Hause? Lässt sich dieses Format über seine Ich-bin-die-Faust-des-englischen-Geheimdienstes-Action hinausheben? Ja, zumindest ein wenig. Ich stelle einmal steil die These auf: Wer seine Nase gerne in Scotch steckt, sollte von Tennyson schon einmal etwas gehört haben. Tennyson ist bei Filmemachern sehr beliebt, lassen sich doch die Zeilen des englischen Dichters universell in Filmstoff einbetten. So machte es auch 2009 der Football-Film „Blind Side“ mit Sandra Bullock in der Hauptrolle und dem Zitat aus Tennysons Gedicht „Die Attacke der Leichten Brigade“ von 1854. Und so ist der aktuell im Kino laufende 25ste Bond „No Time To Die“ auch nicht der erste Bond, der uns mit einem gewichtigen Zitat beeindruckt.

Dem voran ging Skyfall, einer der drei von fünf Bond-Verfilmungen mit Daniel Craig, die aus der Reihe fielen. Mehr denn in den anderen beiden Teilen „Ein Quantum Trost“ und „Spectre“, verkörpert Daniel Craig hier den an seiner Karriere und an seinen Verlusten zerbrechenden Helden. Craigs Verkörperung steht im Gegensatz zu der geradlinigen Darstellung des wenig geschätzten Timothy Dalton. Für mich persönlich ist Dalton aber der einzige, wirklich ernstzunehmende Profi-Killer der Serie gewesen. Dalton spielte Bond als harten unversöhnlichen Killer, er war die Kugel, die man abfeuerte und die traf. Schießen und vergessen. Unvergessen sein Zitat auf die Frage, ob er Probleme löse: „Nein, ich beseitige sie.“

Craig hingegen war mit seinem Start 2006 vielleicht wirklich der Erste, der uns zeigte, was zu verlieren der Profikiller im Dienste seiner Majestät alles bereit ist, und damit meine ich nicht das Leben. Casino Royale bescherte uns 2006 einen neuen Bond, der sich wirklich, und dabei sehr erfrischend selbstironisch und ernsthaft verliebte. Und verlor. Und während Bond in Casino Royale alles verliert, billigt ihm das Drehbuch im zweiten Teil der Craig-Bonds zumindest Rache und ein wenig Trost zu. Ganz anders dann in Skyfall von 2012.#

Sir Henry Newbolt, 1862 - 1938

Jetzt zittern die Abendbrisen
Temeraire! Temeraire!
Und sie schwindet den Fluss hinunter.
Temeraire! Temeraire!
Jetzt zittern die Abendbrisen
Und sie schwindet den Fluss hinunter,
Aber in Englands Lied für immer
Sie ist die Kämpfende Temeraire.

The Fighting Temeraire, 1898

Der Absturz

Skyfall handelt vom Fall eines Helden

Der Titel ist Programm. Wahrscheinlich gibt es keine größere Fallhöhe als den Himmel. Und im sprichwörtlichen Sinne fällt der Held gleich mehrmals. Er fällt von einer Brücke, nein, seine Kollegin schießt sogar von ihr herunter. Dann sitzt er mit Q im Museum und dieser konfrontiert ihn dort mit einem, seinem historischen Sturz; nämlich dem Ende des hölzernen Kriegsschiffes, dem Ende des klassischen Schlachtschiffes, dass sogar bei Trafalgar mitkämpfte. (Es ist das Gemälde The Fighting Temeraire des genialen britischen Künstlers J. M. William Turner und zeigt das 40 Jahre alte Linienschiff zweiter Klasse HMS Temeraire, das ein Dampfschlepper zu seinem Abwrackplatz zieht.) Das Gemälde winkt metaphorisch Bond zu: Auch Du bist nichts anderes als abwrackfähig. Noch ein Sturz.

Aber wenn nicht James Bond, wer sonst könnte gegen dieses Schicksal aufbegehren? Wenn nicht Bonds Chefin M, wer könnte sich besser vor Bond stellen? Das von den Machern des Films und den Drehbuchautoren Peter Morgan, Neal Purvis und Robert Wade inszenierte Literaturzitat in Skyfall hilft, die mit dem Zitat verbundene, und endlich einmal weibliche Figur von M ein Stück unsterblicher zu machen. Wie ein Mantel, ja wie ein Segen, wie güldener Glanz umschweben die Worte ihre Figur, während um sie herum schon bald das Chaos wütet.

Ausgerechnet Alfred Lord Tennyson zitiert M, einen beliebten Dichter des viktorianischen Zeitalters, geboren am 6. August 1809.

Viel zitiert

Alfred Lord Tennyson

Engl. Ulysses - dt. Odysseus, Held der Odyssee

Zur Erinnerung: Odysseus ist ein listiger Held der griechischen Mythologie. Ihm wird die Idee für das trojanische Pferd, das Troja zu Fall brachte, nachgesagt, er war ein exzellenter Bogenschütze, was er auf der Brautschau seiner Frau bewies. Er ist der Held, der mit dem einäugigen Zyklopen kämpfte und die Sirenen durch allein Weghören bezwang. Seine genialste Filmverkörperung war Kirk Douglas im Film von Mario Camerini. Homer erschuf diesen Helden in seinem Epos Odyssee, Wanderungen des Odysseus. Name und Text sind literarische und filmische Protostoffe bis heute.

Quelle: Wikipedia: Odysseus

Der britische Schriftsteller und Dichter Tennyson war nicht von Geburt adelig, nein, er war Sohn eines Lehrers und wurde erst mit 75 Jahren in den Adelsstand erhoben. Er stammt eigentlich aus dem Bürgertum. In Großbritannien ist Tennyson berühmt; er steht auf dem neunten Platz der am meisten zitierten Dichter im Oxford Dictionary of Quotations, viele seiner Verse sind in der englischen Sprache Allgemeinplätze, wie zum Beispiel „Meine Kraft ist wie die Kraft von zehn, / Denn mein Herz ist rein“ oder „Das Wissen kommt, aber die Weisheit bleibt“.

Im Film Skyfall zitiert die Figur M eine Stelle aus Tennysons Gedicht Ulysses. Es ist Teil seines zweiten Gedichtbandes Poems, der 1842 herauskam, zu diesem Zeitpunkt war Tennyson gerade erst 33 Jahre alt. Der amerikanische Dichter T.S. Elliot nannte die Verse Ulysses von Tennyson ein "perfektes Gedicht". Wahrscheinlich schrieb Tennyson es unter dem Eindruck des Todes seines besten Freundes Arthur Henry Hallam, der mit seiner Schwester Emilia verlobt war. Als er vom tödlichen Schlaganfall seines Freundes erfuhr, soll er gesagt haben:

Alfred Lord Tennyson

Er wäre, wenn er gelebt hätte, als großer Mann bekannt gewesen, aber nicht als großer Dichter; er war so nah an der Vollkommenheit, wie ein sterblicher Mensch nur sein kann.

Das Gedicht ist ein dramatischer Monolog, in dem der mythische Held Odysseus seine Unzufriedenheit und Unrast beschreibt, die ihn nach der Odyssee erfasst hat, als er - womöglich gelangweilt - wieder zu Hause ist. Er sehnt sich zurück nach seinen Gefährten und Abenteuern, möchte wieder hinein in sein altes Leben, wieder auf gefährliche Entdeckungsreise gehen. Tennyson schreibt:

Alfred Lord Tennyson (1809 - 1892)

Ich kann nicht ruhn nach allen meinen Fahrten.
Ich muß es trinken bis zum Bodensatz,
dies Leben leben, das ich so genoß,
auch jeden Schmerz, den ich mit den Gefährten
durchlitten habe, oder auch allein,
zu Land und auch, wenn kreischende Hyaden
das Meer mit Regenwolken peitschten.

Ulysses. Anmerk.: Hyaden sind Nymphen in der griechischen Mythologie

Dies sind die ersten sieben Zeilen der insgesamt 70. Und aus diesen zitiert M die letzten fünf Zeilen, hervorragend vorgetragen von Dame Judi Dench und ebenso hervorragend synchronisiert von der deutschen Schauspielerin Gisela Fritsch, die bis 2013 Judi Dench sprach.

Alfred Lord Tennyson (1809 - 1892)

We are not now that strength which in old days
Moved earth and heaven, that which we are, we are;
One equal temper of heroic hearts,
Made weak by time and fate, but strong in will
To strive, to seek, to find, and not to yield.

Und in der deutschen Übersetzung

Sind wir auch länger nicht die Kraft,
die Erd‘ und Himmel einst bewegte, so sind wir dennoch was wir sind;
Helden mit Herzen von gleichem Schlag,
geschwächt von Zeit und von dem Schicksal; doch stark im Willen
zu ringen, zu suchen, zu finden. Und nie zu weichen.

Ulysses.

Das sitzt. An dieser Stelle und mit etwas leidenschaftslosen Abstand mag man es falschen Pathos nennen, in dem Moment, in dem man die Szene zum ersten Mal sieht; eingebettet in eine höchst spannende Schnittfolge, die einen Anschlag auf Ms Leben zum Ziel hat, gelingt dieser Teil der aristotelischen Rhetorik perfekt: er überzeugt als emotionaler Appell mit Leidenschaft und als dramatisches Erlebnis.

Tennysons Zeilen sind bestimmt autobiographische Worte. Darin sind sich alle einig. Sterben gute Freunde, dann geht uns ein Stück verloren; uns, die Überlebenden hat der Verlust geschwächt, das Schicksal fast zerbrochen. Und doch machen wir weiter, bleiben standhaft, auch gegenüber dem Gegner Trauer, dem Gegner Depression und Angst. Auch mit dem Verlust des Freundes, die Suche nach dem Sinn endet niemals, und wir geben sie auch niemals auf. Und wir stellen uns dem, was da kommt. Jetzt und in Zukunft, wir treten nicht zurück, genehmigen uns keine Schwäche. Wie patriotisch dies dann schnell klingt.

Perfect fit

Worte wie Tom-Ford-Anzüge

Im Film passen die Worte, wie James Bonds perfekt geschneiderte Tom Ford Anzüge. Eine gute Wahl. Jetzt verstehen wir die zwei, im Film so genial gebrochenen inszenierten und gespielten Figuren durch den Mantel der Worte besser. Sie, die Leiterin des Geheimdienstes M und Bond sind in die Jahre gekommen, aber früher, früher haben sie Berge versetzt, haben sprichwörtlich den Himmel weinen lassen, krachend selbst zum Einsturz gebracht.

Ein Berg von Pathos schlägt uns entgegen. Ein genialer filmischer Trick: erzeuge so viel Gefühl, Leidenschaft und Emotion, dass der Zuschauer eigentlich keine Wahl hat. Vor allem wenn außer dem Geruchssinn alle Rezeptoren nur eins tun: mit allen Sinnen aufnehmen. So hat mich als Konsequenz diese Szene und das Zitat sehr beeindruckt. Und der Filmschnitt zeigt die Rezitation wirkungsvoll zwischen dynamischer Action und ruhiger Feierlichkeit, was die dramatische Wirkung erheblich verstärkt.

Egal was M und Bond das Alter, ihre Feinde, die Bürokratie auch antun, ihnen weggenommen haben, sie bleiben immer die Helden, die sie einst waren und sie sind alle Helden vom gleichen Schlag. Sie gehören zusammen. Sie sind verschwistert und verbrüdert. Sie stehen zusammen. Sie durchleiden zusammen. Sie gewinnen zusammen. Vielleicht manchmal angeschlagen, verletzt, beeinträchtigt, am Boden liegend, aber sie geben nie auf. Sie sehnen sich nach dem was sie sind: Suchende, Ringende, Findende - Menschen, denen dieser Dreiklang ihr Schicksal ist. Diesen Dreiklang kennen wir noch von anderen großen literarischen Stoffen. Herr der Ringe beschreibt genau dies für viele seine Figuren - im sprichwörtlichen Sinne. Der Ring, das Ringen, Suchen und Finden - in diesem Dreiklang liegt ein universeller Stoff der Literatur begraben.

Und die weiße, reflektierende Leinwand spiegelt diesen heroischen universellen Dreiklang, diesen heroischen Glanz auch auf uns herab. Wie sehr sehnen wir uns doch manchmal auch so zu sein, ringend, suchend und vor allem findend. Und können es doch nur selten wirklich sein. Dazu sind wir zu klein, ist unser Alltagsleben zu unbedeutend, unser Alltagsstress zu belastend. Schon so etwas Banales wie eine klemmende Zugtür lässt uns heroisch wirken, wenn wir sie für jemand helfend öffnen. Dabei ist Held:in sein völlig unvernünftig. Zu Recht warnen uns Menschen, deren Beruf der Kampf gegen Gewalt ist, davor uns in Dinge einzumischen, für die wir nicht ausgebildet sind. Der gute Rat ist einfach: Alarmieren und Wegrennen! Da ist nicht von Standhaftigkeit die Rede.

Genau das Gegenteil.

So machen wir im Leben immer Kompromisse, können wir uns eine kompromisslose Haltung doch gar nicht leisten, sie würde uns schnell das Leben kosten. „Nur in unseren Träumen treffen wir Nacht für Nacht noch auf die zeitlosen Gefahren“, schrieb der amerikanische Literaturwissenschaftler und Mythologe Joseph Campbell. So brauchen wir eine Stellvertreter:in, der diesen universellen Menschheitstraum vom Heldentum für uns erfüllt. Sie/er rettet die Welt für uns. Seit unserer Kindheit. Ob im Buch oder Film. Ob die Glücksbärchis, Biene Maja, Willy, Wicki, Heidi, Tintin, Asterix oder Obelix, Ronja, die Räubertochter, Lotta, Tim Thaler oder Captain Brandis, Pan Tau, Herakles, Nike, Athene, Pippi Langstrumpf, Annika, Captain Future, Han Solo, Prinzessin Leia, Superman, Wonder Woman, Marvels Avengers - sie sind unsere Stellvertreter:innen. Für ein paar Stunden.

Und schließlich ist es James Bond selbst, der gefangen in diesem unendlichen Franchise, selbst immer wieder aufs Neue ein Abenteuer sucht. Nie zum Stillstand kommt, niemals anhält, immer weiter kämpft und symbolisch für uns unsterblichen Widerstand gegen das Böse leistet.

tl, dr;

Der von M im Film Skyfall rezitierte Ausschnitt aus dem Gedicht Ulysses von Alfred Lord Tennyson, stellt durch den Bezug zur Geheimdienstarbeit von M und Bond einen Zusammenhang zwischen Heldenhaftigkeit und Standhaftigkeit her, beruft sich durch den Bezug auf den Helden Odysseus aber auch auf einen Protostoff der Menschheitsgeschichte, die Osyssee. Daneben enthält die Herkunft des Zitates einen Verweis auf die heftige Trauerarbeit, die Hinterbliebene leisten müssen.

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