Ralph Waldo Emersons Tagebücher

Alles Schreiben sollte affirmativ sein

Eine kurze Notiz über die Begeisterung über eine neue Anschaffung, Ralph Waldo Emersons Tagebücher in einer neuen Übersetzung durch Jürgen Brôcan.

Es gibt freilich einen Grund, warum ich ein Zitat aus den Tagebüchern Emersons als Teil der Überschrift gewählt habe. Es ist ausgerechnet der letzte Satz aus den Tagebüchern und er wirkt so schwer wie mancher Autoren Bücher.

Alles Schreiben sollte affirmativ sein

Quelle: Januar 1877; Emerson, Ralph Waldo: Tagebücher. 2022.

Ist es nicht wirklich so? Wirkt es nicht so wunderbar auf uns selbst zurück, wenn wir etwas positiv, bejahend und zuversichtlich schreiben? Vom Denken ganz zu schweigen. Verhilft es uns, gerade in diesen schwierigen und schweren Zeiten nicht dazu, uns dem Wind, dem Regen, dem Sturm zu widersetzen?

Von Sullivan zu Emerson

Der wohl wichtigste Essayist und Denker der USA im 19. Jahrhundert

Wie Ihr mich kennt gehört zu dem Erwerb meines neuen Buches eine kleine Geschichte, aus der hoffentlich am Ende eine große wird. Des Architekten Louis Henry Sullivan Designmaxime »Form ever follows function« dürfte auf vielen Säulen ruhen, zu den nachgewiesenen gehört dieser Essayist, Denker, Naturphilosoph und Pantheist Ralph Waldo Emerson. Sullivans Designmaxime betont den aus der Natur im doppelten Sinne stammenden Funktionsbegriff; dass die Natur einer Sache nicht nur kausal für ihre Gestalt verantwortlich ist durch ihre Funktion, sondern auch im spirituellen, natürlichen Sinne. Und auch wenn ich mit meinen neuen Recherchen zu Sullivans Designmaxime in meinem ersten Sachstandsbericht noch ganz am Anfang stehe und mein Bild so flüchtig und leicht, wie eine im Nebel verschwindende junge Birke ist, so streifen meine Gedanken doch immer wieder vom eingeschlagenen Wege nach links und rechts, in der Geschichte nach vorne, weit in die Zukunft meiner geistigen Wanderung voraus. 

Und so kam es, dass als erstes schmales Bändchen Mitte Februar »Natur« von Ralph Waldo Emerson in meine kleine Bibliothek wanderte; Emerson schrieb es 1836 im Alter von 33 Jahren; die Übersetzung ist von Harald Kiczka von 1981. Ein Literaturkritiker der Wiener Zeitung, Oliver vom Hove, sagt allerdings den meisten Übersetzungen nach, dass sie »in einem schwerfälligen, oft bis zur Unverständlichkeit verschachtelten Stil abgefasst sind.« Das werde ich für diese Übersetzung von Natur vielleicht einmal prüfen.

Um so mehr wird die neue Übersetzung von Jürgen Brôcan gelobt, die erst kürzlich, 2022 erschienen ist, mit einem umfangreichen Nachwort des Übersetzers versehen und zahlreichen Fußnoten und Randbemerkungen. Der Band ist heute bei mir in der Post gewesen.

Ralph Waldo Emerson
Tagebücher 1819 – 1877
Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt, herausgegeben und kommentiert von Jürgen Brôcan
1. Auflage; Matthes & Seitz Berlin, 2022.
912 Seiten, Zeittafel, Karte von Concord; mit einem Nachwort von Jürgen Brôcan: Die Genealogie der Gedanken 

Selbst  das flüchtige Durchblättern löste in mir unreflektierte, unkritische Begeisterung aus. 

Ich zitiere vom 26. Juni 1838

Der trockene Wind unter dieser hellen Sonne richtet die Köpfe der Gräser wieder auf, die im gestrigen Sturm gebeugt und umgelegt wurden. Lass die Zeit als trocknenden Wind ein ins Saatfeld Deiner heutigen Gedanken, die nasskalt, warm & geduckt sind. Der Westwind kämmt die verfilzten, zerzausten Gräser aus, die in Nachtlocken auf dem Boden liegen.

Quelle: 26. Juni 1838; Emerson, Ralph Waldo: Tagebücher. 2022, S. 284

Mir spendet das Trost und Hoffnung. Ich bin gespannt, in wie vielen Aspekten mich dieses Buch noch erfüllen wird. Es bietet uns eine wunderbare Möglichkeit, in die Gedankenwelt des Naturphilosophen, Transzendentalisten und Pantheisten einzutauchen und es als Gelegenheit zu nutzen, über unsere vielfältigen Verhältnisse zur Natur, zur Welt und den momentanen Gegebenheiten nachzudenken und diese zu reflektieren. Gerade in Zeiten, in denen die Natur bereits verschwunden ist oder noch weiter verschwinden wird.

Ralph Waldo Emersons Tagebücher - Titel, interessant die Kombination einer vorklassizistischen Antiqua mit einer Renaissance Antiqua. Quelle: Matthes und Seitz Berlin, 2022
Titel, interessant die Kombination einer vorklassizistischen Antiqua mit einer Renaissance Antiqua. Quelle: Matthes und Seitz Berlin, 2022
Life

Concord, Lincoln, The Dial

Ralph Waldo Emerson was born on 25 May 1803 in Boston, Massachusetts and died on 27 April 1882 in Concord, Massachusetts. Emerson, perhaps the most important philosopher of 19th century North America, wrote an ongoing diary throughout his life, wrote essays on the eternally great themes of beauty, friendship, history, love, art or the world spirit, as Oliver vom Hove lists them in his book review in the Wiener Zeitung.

Throughout his life, Emerson was an avowed opponent of slavery and an advocate of the cultural independence of the United States. His influence on the US poet, essayist and journalist Walt Whitman, born in 1819, was significant. Emerson repeatedly became a mentor to young talents.

Together with the US writer and philosopher Henry David Thoreau and other authors, philosophers, politicians and intellectuals who had come together in the Transcendental Club or Hedge Club, Emerson founded the magazine The Dial (1840-1844) in 1840, a "medium for new ideas and expressions of interest to serious thinkers in any society". It was the magazine of Transcendentalism.

Not only did these authors have a strong intellectual bond, they were also physically close, as Henry James once wrote that Concord was something like the Weimar for German classicism. The writer Nathaniel Hawthorne, the philosopher Amos Branson Alcott and his daughter Louisa May Alcott, who became world famous with her Little Woman trilogy, lived in the immediate vicinity. Walt Whitman, Margaret Fuller, who served as editor of The Dial, Jones Very and many more found themselves in Concord. Jürgen Brôcan quotes Susan Cheever, who described Concord in her book American Bloomsbury as a place of "eruption of creative spirit".

Emerson also had an influence on Friedrich Nietzsche; Nietzsche himself wrote about Emerson:

Emerson hat jene gütige und geistreiche Heiterkeit, welche allen Ernst entmutigt; er weiß es schlechterdings nicht, wie alt er ist und wie jung er noch sein wird.

Quelle: Diogenes Verlag

Ralph Waldo Emerson died in Concord, Massachusetts in 1882.

My glance at the book today was fleeting. I liked every page I opened. In the afterword, I noticed also little things. For example, Brôcan writes: "The & sign, used by Emerson throughout but not consistently, has been retained to preserve the notation character."

This care radiates throughout the edition, which comes with a beautifully designed and embossed title. And to conclude with Emerson:

Der Nonkonformist ist eine dauernde Erinnerung und ein Ansporn, und jeder Fragesteller wird ihn zuerst einmal loswerden wollen.

Quelle: Oktober 1842; Emerson, Ralph Waldo: Tagebücher. 2022. S. 432

It will be my great pleasure and honour to read it.

tl, dr;

Eine sehr optimistische und begeisterte Notiz über die neue Übersetzung von Ralph Waldo Emersons Tagebücher durch Jürgen Brôcan für Matthes & Seitz Berlin 2022.

Quellen

  • Emerson, Ralph Waldo, und Brôcan, Jürgen (Übersetzer) : Tagebücher: 1819 - 1877. Erste Auflage. Berlin: MSB Matthes & Seitz Berlin, 2022.
    912 Seiten, Nachwort von Jürgen Brôcan: Die Genealogie der Gedanken, Zeittafel, Karte von Concord
  • Ralph Waldo Emerson
    https://www.diogenes.ch/ [18.02.2023]
  • Neuer Blickwinkel auf Nietzsche
    https://cordis.europa.eu/  [18.02.2023]
  • Emerson, Ralph Waldo, und Brôcan, Jürgen (Übersetzer) : Tagebücher: 1819 - 1877
    https://www.matthes-seitz-berlin.de [18.02.2023]
  • Hove, Oliver vom Der Schriftzug der Natur - Der wohl wichtigste Essayist und Denker der USA im 19. Jahrhundert kann in seinen Tagebüchern neu entdeckt werden
    https://www.wienerzeitung.at  [10.02.2023]

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