The Tragic Sense of Life

Star Trek: Picard - S1, Ep3 Miguel de Unamuno

Achtung: Spoiler! - In Star Trek: Picard sehen wir in Folge 3 an Bord des neuen Raumschiffes, das Pilot Cristóbal Rios und seine drei Reisenden zu ihrem ersten Ziel bringen wird, zunächst das Buch The Tragic Sense of Life und dann ein Zitat aus dem Buch des spanischen Schriftstellers und Philosophen Miguel de Unamuno.

Buch und Zitat sind nur kurz im Bild, enthalten aber, wenn eins dies so interpretieren möchte, Hinweise auf das Verständnis von Data, der von Dr. Noonien Soong geschaffen wurde und zum Verständnis der Schaffung zweier neuer Androiden, Dahj und Soji, wahrscheinlich durch den Kybernetiker Bruce Maddox.

Dante Alighieri

Keine Schmerzen mehr
als sich an die glückliche Zeit zu erinnern
aus dem Elend.

Quelle: Dante Alighieri, La divina commedia

Miguel de Unamuno war ein spanischer Essayist, Schriftsteller, Dichter, Dramatiker, Philosoph, Professor für Griechisch und klassische Geschichte und später der Direktor von Salamanca. Er wurde am 29. September 1864 in Bilbao geboren und starb am 31. Dezember 1936 in Salamanca.

Liberaler und Sozialist

Als wäre er nie weg gewesen

Luis de León

Luis de León, geb 1527 in Belmonte, heutige Provinz Cuenca; † 23. August 1591 in Madrigal de las Altas Torres, war einer der größten lyrischen Dichter Spaniens. 1544 schloss sich León dem Augustinerorden an und studierte dann Theologie an der Universität Salamanca, wo er später auch lehrte. Als seine marranische Herkunft bekannt wurde, kam er 1571 vor das Inquisitionsgericht. Er wurde des heimlichen Judaisierens angeklagt. Zusätzlich wurde ihm vorgeworfen, das Hohelied ins Spanische übersetzt zu haben. Nach fünf Jahren Gefangenschaft kam er 1576 frei. Angeblich nahm er danach seine Vorlesungen in Salamanca mit den Worten auf: Hesterno die dicebamus („Wie wir gestern sagten ...“). Später wurde er zum Generalvikar seines Ordens in der Provinz Kastilien ernannt.

Quelle: Wikipedia

Unamuno spielte eine große Rolle in der intellektuellen Gesellschaft von Spanien. Er wurde im Alter von 36 Jahren Rektor der Universität von Salamanca und war es zunächst bis 1924 und später noch einmal von 1930 bis 1936. 1923 wurde in Absprache mit dem spanischen König Alfons XIII. eine 6 Jahre dauernde Diktatur eingerichtet, an deren Spitze General Miguel Primo de Rivera stand. Dieser war es schließlich, der 1924 Unamuno wegen der Proteste anderer spanischer Intellektueller von seinen beiden Universitätslehrstühlen entfernte. Auf Grund seiner Kritik an der Diktatur von Primo de Rivera, der zwischen 1921 bis 1926 für eine flächendeckende Vergasung der aufständischen Rif-Kabylen und Zivilisten rund um die marokkanische Stadt Al Hoceïma verantwortlich war, musste Unamuno ins Exil auswandern, zunächst nach Fuerteventura, später nach Frankreich. Nach einem Jahr in Paris zog er weiter nach Hendaye, einer kleinen französisch-baskischen Hafenstadt an der Grenze zu seiner Heimat Spanien und nahm 1930 nach dem Sturz Primo de Riveras seine Lehrtätigkeit und sein Rektorat wieder auf. Das englischsprachige Wikipedia schreibt dazu: In Salamanca heißt es, dass Unamuno an dem Tag, an dem er an die Universität zurückkehrte, seine Vorlesung mit den Worten begann: "Wie wir gestern schon sagten...". (Decíamos ayer...) wie Fray Luis de León 1576 am gleichen Ort, nach vier Jahren der Inquisitionshaft. (Quelle: https://en.wikipedia.org/wiki/Miguel_de_Unamuno )

Zunächst von liberaler Gesinnung und leidenschaftlicher Verfechter des spanischen Liberalismus, schloss sich Unamuno der Sozialistischen Arbeiterpartei Spaniens an, galt aber als politisch gemäßigt. Obwohl er zunächst Francos Aufstand begrüßte, wandte er sich später gegen ihn, vor allem weil er sah, was seine Getreuen in Spanien anrichteten. Berühmt ist dieses Zitat des mutigen, unerschrockenen und unbeugsamen Basken:

Miguel de Unamuno

Siegen ist nicht überzeugen.

Vencer es no convencer. - Quelle: https://www.viva-espana.at/miguel-de-unamuno/

Im offenen Streit mit einem nationalistischen General prangerte er auch den Schlachtruf der spanischen Elitetruppen an. Zu einem Freund sagte er später unter anderem: Nein, ich bin weder Faschist noch Bolschewist. Ich bin allein!... Wie Croce in Italien, ich bin allein! (Quelle: Wikipedia / Toledano, Ana Chaguaceda (2003). Miguel de Unamuno, estudios sobre su obra, Volume 4. Universidad de Salamanca. p. 131. )

Im Herbst 1936 wurde er von Franco unter Hausarrest gestellt und in diesem starb er 10 Wochen später, am 31. Dezember 1936.

The Tragic Sense of Life - Unamuno, Porträt von Ramon Casas, (Museu Nacional d’Art de Catalunya)
Unamuno, Porträt von Ramon Casas, (Museu Nacional d’Art de Catalunya)
Religiöse Krise

Die Existenz geht der Essenz (dem Wesen) voraus

Ende des neunzehnten Jahrhunderts erlebte Unamuno eine religiöse Krise, die unter Umständen auf den Tod seines behindert geborenen Kindes wenige Monate nach seiner Geburt zurückzuführen ist. Vielleicht ist zum Verständnis auch bedeutsam, dass Unamuno im Alter von 6 Jahren seinen Vater verlor. In jedem Fall verließ er die positivistische Philosophie und entwickelte seine eigene existenzialistische Denkweise, nach der das Leben tragisch war, da wir alle im Wissen leben, dass wir sterben werden. Wir würden einen Großteil unserer Aktivitäten darauf verwenden, selbst oder etwas von uns, nach unserem Tode zu hinterlassen, das uns überlebt und weiter existiert. 

Sartre schrieb: Somit ist der erste Schritt des Existentialismus, jeden Menschen in den Besitz dessen, was er ist, zu bringen, und auf ihm die gänzliche Verantwortung für seine Existenz ruhen zu lassen. Und wenn wir sagen, dass der Mensch für sich selber verantwortlich ist, so wollen wir nicht sagen, dass der Mensch gerade eben nur für seine Individualität verantwortlich ist, sondern dass er verantwortlich ist für alle Menschen. (Quelle: Jean-Paul Sartre: Das Sein und das Nichts, Reinbek rororo, 1993)

1912 schrieb Unamuno dann sein berühmtestes Werk, Del sentimiento trágico de la vida, Der tragische Sinn des Lebens. In dem Buch regt er eine Diskussion um die Unterschiede zwischen Glauben und Vernunft an.

Das im Film gezeigte Zitat lautet im englischen Original so:

Miguel de Unamuno

Suffering is the path of consciousness, and by it living beings arrive at the possession of self-consciousness. For the possess consciousness of oneself and to feel oneself distinct from other beings, and this feeling of distiction is only reached through an act of collision, through suffering more or less severem through the sene of one's own limits. Consciousness of oneself is simply consciousness of one's own limitation. I feel myself when I feel that I am not other's; to knwo and to feel the extent of my beeing is to know at what point I cease to be, the point beyond which I no longer am.

Quelle: Unamuno, The Tragic Sense of Life

Deutsch übersetzt könnte es in etwa so lauten:

Miguel de Unamuno

Das Leiden ist der Weg des Bewusstseins, und durch ihn gelangen die Lebewesen in den Besitz des Selbstbewusstseins. Denn das Bewusstsein von sich selbst zu besitzen und sich von anderen Wesen zu unterscheiden, dieses Gefühl der Abgrenzung wird nur durch einen Akt des Zusammenstoßes erreicht, durch mehr oder weniger starkes Leiden an den eigenen Grenzen. Das Bewusstsein von sich selbst ist einfach das Bewusstsein der eigenen Begrenzung. Ich fühle mich selbst, wenn ich fühle, dass ich nicht die eines anderen bin; das Ausmaß meines Seins zu kennen und zu fühlen, bedeutet zu wissen, an welchem Punkt ich aufhöre zu sein, an dem Punkt, über den hinaus ich nicht mehr existiere.

Quelle: Unamuno, The Tragic Sense of Life

Ohne Schmerz kein Bewusstsein, ohne Grenzen keine Erkenntnis, keine Selbstdefinition und ohne all das kein Leben. Nicht ich denke, also bin ich - sondern ich erlebe meine Grenzen, ich leide, ich leide am tragischen Leben, am tragischen Verlust. Also bin ich und kann mich selbst erkennen. Dies berührt neueste Erkenntnisse der Robotik: Die erste Voraussetzung für so etwas wie Selbstbewusstsein ist die Wahrnehmung des eigenen Körpers und der eigenen Verletzlichkeit. (Quelle: Wolfangel, Eva: Die Angst der Maschine. Die Zeit, 2019). Obwohl ich selbst nicht religiös bin und eher kritisch sehe, was religiöse Instanzen sagen und schreiben, möchte ich gerne Nicholas Collura vom National Catholic Reporter zitieren. Er versteht die Aussagen im Buch Der Tragische Sinn des Lebens auch so: Die Tragödie ist mehr als nur, dass wir leiden und sterben müssen. Sie bezieht sich auf die Tatsache, dass unsere größte Sehnsucht - das ewige Leben - und unsere ergreifendsten Wünsche - zum Beispiel der Wunsch, unsere Kinder wieder zu sehen, nachdem sie uns vorausgegangen sind - so unwissenschaftlich sind, dass sie dem gebildeten Menschen lächerlich erscheinen. (Quelle: https://www.ncronline.org/blogs/ncr-today/unamuno-was-man-burdened-wisdom-rather-knowledge). Ich glaube, dass dies wahrscheinlich auch nur Menschen verstehen können, die wirklich ein Kind verloren haben. Es ist der schrecklichste Verlust zu erleben, das unser Kind stirbt, in dem eigentlich nach unserem Tode etwas von uns weiterleben soll.

Data hat sich in Star Trek: Nemesis für Picard und für die Mannschaft der Enterprise geopfert. Auch von ihm gibt es einen Zwilling: B-4. Die Aussage von Collura im National Catholic Reporter lässt sich so schön weiter orakeln, da die Macher von Star Trek Picard ja selbst sagen, man könne das Bewusstsein von Data mit nur minimalen Datenmengen wieder herstellen. Welchen Zusammenhang zwischen Data und den neuen Zwillingen gibt es, wenn Data schon ein Bild gemalt hat, auf dem ein Zwilling zu sehen ist?

Das oben genannte Zitat geht aber - in der Serie unsichtbar für die Kamera -  noch weiter:

Miguel de Unamuno

And how do we know that we exist if we do not suffer, little or much? How can we turn upon ourselves, acquire reflective consciousness, save by suffering? When we enjoy ourselves we forget ourselves, forget that we exist; we pass over into another, an alien being, we alienate ourselves. And we become centred in ourselves again, we return to ourselves, only by suffering.

Quelle: Unamuno, The Tragic Sense of Life

Deutsch in etwa so:

Miguel de Unamuno

Und woher wissen wir, dass wir existieren, wenn wir nicht viel oder wenig leiden? Wie können wir uns gegen uns selbst erkennen, ein reflektierendes Bewusstsein erlangen, wenn wir nicht leiden? Wenn wir uns amüsieren, vergessen wir uns selbst, vergessen wir, dass wir existieren; wir gehen in ein anderes, ein fremdes Wesen über, wir entfremden uns von uns selbst. Nur durch Leiden werden wir wieder auf uns selbst zurückgeworfen, kehren wir zu uns selbst zurück.

Quelle: Unamuno, The Tragic Sense of Life

Und ergänzt wird das Zitat durch ein Zitat aus Dante Alighieris Göttlicher Komödie:

Dante Alighieri

Keine Schmerzen mehr
als sich an die glückliche Zeit zu erinnern
aus dem Elend.

Quelle: Dante Alighieri, La divina commedia

Es gibt noch eine schöne andere Stelle im Buch Der tragische Sinn des Lebens, wo es sich auf die Milchstraße selbst bezieht und die Erkenntnis des Menschen, dass er seine Begrenztheit überwinden kann, wenn er sich selbst ganz und gar mit jedem Molekül und jeder Zelle voll und ganz erkennt.

Miguel de Unamuno

Vielleicht ist die immense Milchstraße, die wir in klaren Nächten am Himmel sehen, dieser riesige Ring, in dem unser Planetensystem selbst nur ein Molekül ist, wiederum nur eine Zelle im Universum, im Leib Gottes. Alle Zellen unseres Körpers vereinen sich und arbeiten zusammen, um durch ihre Aktivität unser Bewusstsein, unsere Seele, aufrechtzuerhalten und zu entzünden; und wenn das Bewusstsein oder die Seelen all dieser Zellen vollständig in unser Bewusstsein, in das zusammengesetzte Ganze, einträten, wenn ich das Bewusstsein all dessen besäße, was in meinem Körperorganismus geschieht, würde ich spüren, wie das Universum in mir selbst geschieht, und vielleicht würde das schmerzhafte Gefühl meiner Begrenztheit verschwinden.

Quelle: Unamuno, The Tragic Sense of Life

Jeder mag sich selbst ein eigenes Urteil bilden, ob uns die Macher der Serie etwas sagen möchten, oder das Buch nur zufällig beim Drehbuchschreiben im Regal stand.

Ich fand es schön einmal tiefer zu graben und über den Sinn des Zitates ein wenig hinaus zu denken und herauszufinden, wer dieser melancholische, freiheitsliebende und papierfaltende (cocotología) spanische Philosoph eigentlich war.

Albert Camus

Ich glaube weiterhin, dass unserer Welt kein tieferer Sinn innewohnt. Aber ich weiß, dass etwas in ihr Sinn hat, und das ist der Mensch, denn er ist das einzige Wesen, das Sinn fordert.

Quelle: Albert Camus, Mein Reich ist von dieser Welt

Trivia: Der Rio Cristóbal ist ein Fluss in der spanischen Provinz Guadalajara.

tl, dr;

Wer war dieser spanische Philosoph und Fan des Origami  (cocotología) Miguel de Unamuno, der in Star Trek: Picard S1, Ep3 - The End is the Beginning erwähnt wird?

Kommentare (3)

  1. Holger Wiegandt 23. Februar 2020

    Danke, mich interessieren solche Verweise und - ich denke schon Botschaften - das Buch ist nicht zufällig am Set beim Schreiben einfach so da gewesen. Deshalb vielen Dank an Deine schöne Recherche und die in die Tiefe gehenden Zusammenhänge.

    Herzlichst Holger

  2. Holger Wiegandt 23. Februar 2020

    … und liebe Grüße aus Berlin

  3. Thomas Schürmann 25. Februar 2020

    Vielen lieben Dank für Deinen wertschätzenden Kommentar, Holger. Das motiviert mich sehr. Ich bin gespannt, was Star Trek: Picard uns noch bieten wird.


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